«Durch Globalisierung und Schönwetterlogistik haben wir die strategische Bedeutung von Lagerhaltung und lokaler Produktion aus den Augen verloren.“

Als Akteur und aufmerksamer Beobachter der Entwicklung der Biowissenschaften, der medizinischen Technologien und des Swiss Health Valley in Zeiten der Pandemie, erläutert Benoît Dubuis uns seine Einschätzung.

Wie geht es dem Schweizer Health Valley in der Gesundheitskrise?

Die Partner des Health Valley sind so vielfältig aufgestellt, dass eine einheitliche Antwort unmöglich ist. Manche Unternehmen leiden natürlich, andere stehen so sehr im Fokus der Medien, dass wir wie beim Arztbesuch jedem der Botschafter, die sich an uns wenden, spezifisch helfen. Soviel zu unseren punktuellen Tätigkeiten, aber unsere eigentlichen Überlegungen gehen über die jetzige heikle Situation hinaus. Sicher müssen wir eine aussergewöhnliche Situation bewältigen, aber vor allem müssen wir uns auf das «New Now» vorbereiten. Die Pandemie hat viele schon laufende Umwälzungen beschleunigt und vollkommen neue Horizonte eröffnet. Das beinhaltet neue therapeutische Ansätze, die Aufwertung von Branchen, die man bislang als marginal oder kaum geeignet für unsere Regionen angesehen hat, den Wandel der Nachfrage, logistische Herausforderungen, die Verkürzung der Zeitspannen, um neue Lösungen für Probleme zu entwickeln, die es vor gerade einem Jahr noch gar nicht gab. Dieses gemeinsame Lernen unter starkem Zeitdruck hat uns gezwungen, gemeinsam zu wachsen und die Vorteile von Kooperationen zu verstehen, die nicht nur nützlich, sondern lebenswichtig sind. Um nur ein Beispiel zu nennen, hat das von der Inartis Stiftung und namentlich von der Genfer Industrie- und Handelskammer (CCIG) unterstützte Programm «Business Continuity Resource» dafür gesorgt, dass Personen mit wichtigen Kompetenzen ermittelt werden, um kritische Sektoren zu unterstützen, die von hohen, durch die Epidemie verursachten Abwesenheitszeiten betroffen sind.

Wir hätten nicht gedacht, dass dieses Jubiläumsjahr sich so problematisch darstellen würde, aber die derzeit herrschende Lage zeigt uns den vollen Wert eines dichten und vernetzten Ökosystems sowie die Notwendigkeit auf, es als einsatzfähiges Werkzeug für unsere Industrie noch tiefer zu verankern.

Spielen die Akteure der Schweizer Medtech durch ihren Beitrag zur Befriedigung der Marktbedürfnisse eine bedeutende Rolle in dieser Krise?

Eine wichtige Lehre wird für mich das Bedürfnis nach Nähe bleiben. Jahrzehntelang haben wir aufgrund der Globalisierung und einer Schönwetterlogistik die strategische Bedeutung von Lagerhaltung und lokaler Produktion aus den Augen verloren. Die Wertschöpfungskette wurde durch die Optimierung der finanziellen, materiellen und menschlichen Ressourcen geleitet, was zu ihrer weitgehenden Dezentralisierung, ja Virtualisierung führte. All das funktionierte gut, solange die einzelnen Elemente durch das logistische Netz zusammengehalten wurden. Das Reissen der verschiedenen Fäden führte zu Versorgungsstörungen bei wesentlichen Komponenten und damit zu Produktionsproblemen, Lieferausfällen und letztendlich zu Opfern unter den Industriebetrieben oder Betrieben, die mit logistischen Mängeln bei der Just-in-time-Lieferung zu kämpfen hatten. Die Rede war dann von Rückführung der Produktion, von lokaler Produktion, von einer Neubewertung des «fairen Preises». Anstelle übereilter Entscheidungen bevorzugen wir grundsätzliche Überlegungen, die uns gegen diese katastrophalen Auswirkungen schützen, ohne der Wirtschaftlichkeit der Produktionsprozesse zu schaden.

Beunruhigt Sie die Frage des Abschlusses des Rahmenabkommens mit Europa, das eine Bedrohung für die Schweizer Medtech darstellt?

Vorsicht ist die Mutter der Tugenden. Sie sollte uns nicht nur zur Achtsamkeit, sondern auch zum Handeln anhalten, um so die bestmöglichen Bedingungen für die Entwicklung unseres Sektors zu gewährleisten. Aufgrund ihrer Lage im europäischen Umfeld wird die Schweiz nie vor Entscheidungen der EU geschützt sein, die Auswirkungen auf ihren gesamten Wirtschaftssektor haben. Ein pragmatischer Ansatz besteht darin, dass alle Akteure nach Lösungen für neue Zwänge suchen. Starke und anerkannte Dachverbände zu haben ermöglicht abgestimmtes Handeln, das für unsere gesamte Industrie von Vorteil ist.

Teilen Sie die Einschätzung von Professor Marcel Salathé der EPFL, dass die digitalen Fähigkeiten der Schweiz beschleunigt werden müssen, um neue Brücken zwischen der wissenschaftlichen und technologischen Welt, der politischen Welt und den Bürgern zu schaffen?

Dass unser Land und unsere Organisationen sich entwickeln müssen, wird niemand bestreiten. Wir haben immer darauf bestanden, dass eine Lage dringlich ist, um angesichts der Zwänge proaktiv und nicht reaktiv zu handeln und vor allem, um mit dem Tempo der weltweiten Umwälzungen mitzuhalten, die uns betreffen. Wir haben volles Vertrauen in das kollektive Know-how und die Kompetenzen, die in der Schweiz vorhanden sind, und glauben an unsere Fähigkeit zur Mobilisierung. Den «Code» der Informationstechnologie zu verstehen ist eine Frage, die sich nicht mehr stellt. Die Programmiersprachen bestimmen unser tägliches Leben, deswegen ist es unerlässlich, Zugang zu diesen Kompetenzen zu haben, um in einer zunehmend virtualisierten Welt voranzukommen. Die Inartis Stiftung unterstützt diese Entwicklung seit einigen Jahren, indem sie motivierten Menschen den Zugang zu beruflichen Ausbildungsmodulen ermöglicht. Das geschieht beim Coding Bootcamp von Le Wagon, bei dem binnen 9 Wochen Menschen, die sich oft in einer Umschulung befinden, an der UniverCité in Renens ausgebildet werden. Das geschieht ebenfalls mit 42 Lausanne, der neuen kostenlosen Schule ohne Lehrer, die ab kommendem Juli 200 Informatiker per Jahr in Erstausbildung im Projekt Station R ausbilden wird. All dies sind Möglichkeiten, sich selbst eine Chance zu geben, die Welt von morgen zu erschaffen.

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